Wer war William Shakespeare?

Wer war William Shakespeare? Über einen Mythos

William Shakespeare – kaum ein anderer Name wird weltweit so mit Literatur verbunden. Dramen wie „Hamlet“ oder „Romeo und Julia“, die bis heute Theater- und Lichtspielhäuser erobern, haben den englischen Dichter unsterblich werden lassen. Dabei lebt sein Ruhm auch davon, dass im Grunde nicht besonders viel über ihn bekannt ist.

Familienbande in drei Generationen

Am 26. April 1564 wurde in Stratford-on-Avon in der englischen Grafschaft Warwickshire ein Junge auf den Namen William Shakespeare getauft. Gemessen daran, dass zu dieser Zeit noch wenig Aufmerksamkeit darauf gelegt wurde, das Leben der Menschen zu dokumentieren, ist seitdem sogar relativ viel über Shakespeare bekannt. So wissen wir beispielsweise, dass seine Mutter Mary Arden of Wilmcote einem Adelsgeschlecht entstammte und ihr Ehemann, Williams Vater John Shakespeare, als Landwirt und Stadtverwalter tätig war. William genoss eine Schulausbildung, ging jedoch nicht auf die Universität. Im Alter von 18 Jahren heiratete er 1582 die acht Jahre ältere Anne Hathaway. Die beiden bekamen zwei Töchter, Susanna und Judith, sowie einen Sohn, Judiths Zwillingsbruder Hamnet. Hamnet starb jedoch im Alter von 11. Susanna heiratete Thomas Quiney, den Sohn von Williams Freund Richard Quiney, und der Sohn der beiden wurde später Haupterbe von William Shakespeares Vermögen. Judith wurde mit dem Mediziner John Halle verheiratet.
Shakespeare selbst verstarb am 23. April 1616 und wurde in Stratford begraben. Seine Todesursache ist nicht bekannt, doch könnte er einer zu diesem Zeitpunkt grassierenden Typhus-Epidemie zum Opfer gefallen sein. Dass er infolge eines Trinkgelages gestorben ist, gilt dagegen heute eher als Legende.

Shakespeares Leben – oft eine Frage von Spekulationen

Solche Eckdaten sind durch Dokumentationen von offizieller Seite belegt: durch Eintragungen im Kirchenregister der Holy Trinity Church von Stratford beispielsweise oder durch Aufzeichnungen des bischöflichen Sekretariats. Bei vielen anderen Lebensphasen Shakespeares ist man jedoch auf Spekulationen angewiesen, so beispielsweise bei der Frage, warum William nach London übersiedelte. Angeblich sollen Probleme mit dem Adel von Stratford eine Rolle gespielt haben, doch nicht umsonst wird die Phase zwischen 1584/85 und 1592 als die „verlorenen Jahre“ im Leben des Dramatikers bezeichnet. Es ist schlicht kaum etwas aus dieser Periode überliefert.

Shakespeare und die „Lord Chamberlain’s Men“

Erst ab 1592 lässt sich Shakespeares Leben wieder zuverlässiger rekonstruieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich nach diversen Aushilfstätigkeiten bereits einen Namen als Dramatiker in London gemacht. Ab 1594 verdingte Shakespeare sich als Mitglied der Schauspieltruppe „Lord Chamberlain’s Men“, die später als „King’s Men“ bekannt wurden. Für den Erfolg Shakespeares und der „Lord Chamberlain’s Men“ sprechen zwei Faktoren: Erstens wurde 1596 William ein Familienwappen bewilligt und er konnte sich ein Haus in seiner Heimat Stratford kaufen, das heute noch unter dem Namen „New Place“ bekannt ist. Zweitens spielte die Truppe schließlich in ihrem eigenen Theater, dem bis heute weltbekannten Globe.
Gleichwohl lag Shakespeares größte Berufung nicht in seiner Tätigkeit als Schauspieler. Sein Augenmerk lag darauf, die Schauspiele zu schreiben, zudem war er finanziell an der Truppe beteiligt – ohnehin war Shakespeare auch ein erfolgreicher Unternehmer.
Zwar stammen seine späteren großen Erfolge nicht aus dieser Zeit, doch ist anzunehmen, dass Stücke wie „König Lear“ oder „Hamlet“ hier Ur-Versionen hatten bzw. Elemente aus diesen Frühwerken entnahmen.

Mit antiken Stoffen zum König der englischen Lyrik

Ab ca. 1593 schrieb Shakespeare auch Lyrik und Gedichte. Der Auslöser für diese Gattungsverschiebung könnte profan sein: Wegen einer Pestepidemie mussten die Schauspielhäuser zu diesem Zeitpunkt schließen.  Als Shakespeares erste Verserzählung und erste belegte Druck-Veröffentlichung gilt „Venus und Adonis“, eine Nacherzählung der unglücklichen Liebesgeschichte zwischen der Göttin Venus und dem sterblichen Adonis, die ursprünglich aus Ovids Metamorphosen stammt. Die wichtigste Änderung gegenüber dem „Original“ ist dabei, dass Adonis anders als bei Ovid die Liebe der Venus nicht erwidert. Ein Jahr später, 1594, erschien mit „Lucretia“ ein weiterer zusammenhängender Gedichtband, der sich ebenfalls eines Themas der antiken Mythologie annimmt: Erzählt wird die Geschichte der tugendhaften Römerin Lucretia, die nach einer Vergewaltigung Selbstmord begeht.
Sowohl „Venus und Adonis“ als auch „Lucretia“ wurden Henry Wriothesley gewidmet, dem Earl of Southhampton und späteren Mit-Begründer Virginias. Er soll ein Freund und Gönner Shakespeares gewesen sein. Die 1609 erschienene Sonettsammlung Shakespeares ist einem „Mr. W. H.“ gewidmet, der bis heute nicht identifiziert werden konnte.

Von Romeo bis Ophelia

Am bekanntesten aber ist Shakespeare bis heute durch seine Dramen. Eines der ältesten seiner berühmtesten Werke ist „Der Widerspenstigen Zähmung“, das wahrscheinlich von 1593/94 stammt und später u. a. mit dem berühmten Musical „Kiss me Kate“ oder dem Teenie-Film „10 Dinge, die ich an dir hasse“ adaptiert wurde.
Kurz darauf, wahrscheinlich zwischen 1594 und 1596, wurde mit „Romeo und Julia“ jenes ungleich tragischere Werk veröffentlicht, das wohl noch immer am meisten mit dem Namen Shakespeare verbunden wird und dessen Titelhelden als Inbegriff des tragischen Liebespaars gelten. Auch dieses Stück hat zahllose Künstler aus Malerei und Theater, Literatur und Film und vielem mehr zu Adaptionen inspiriert. Am bekanntesten dürften heute Gottfried Kellers „Romeo und Julia auf dem Lande“, Baz Luhrmanns postmoderne Verfilmung „Romeo + Juliet“ mit Leonardo DiCaprio und Claire Danes in den Titelrollen, sowie Leonard Bernsteins Musical „West Side Story“ sein, wobei letzteres den Konflikt vom italienischen Verona ins New York des 20. Jahrhunderts transformiert. „Romeo und Julia“ war schon zu Lebzeiten eines von Shakespeares beliebtesten Werken.
Wahrscheinlich zeitgleich – eine genaue Datierung ist wie bei fast allen Werken Shakespeares schwierig – erschien wiederum ein vergleichsweise heiteres Stück, nämlich „Ein Sommernachtstraum“, Shakespeares mit am häufigsten aufgeführtes Stück, das sich lose an antiken Elementen, aber auch solchen der englisch-keltischen Folklore orientiert und sogar Einfluss bis in die moderne Fantasy-Literatur genommen hat.
Ab 1600 wiederum folgte eine zweite Welle an bis heute eng mit dem Namen Shakespeare verknüpften Titeln, darunter „Othello“, „König Lear“, „Macbeth“ oder „Hamlet“. Letzteres hatte insbesondere durch die Figur der sterbenden Ophelia einen enormen Einfluss auf Rezeption und Adaption in der Malerei – man denke etwa an John Everett Millais Gemälde „Ophelia“, an Alexandre Cabanels gleichnamiges Werk oder jüngere Darstellungen der spanischen Künstlerin Victoria Francés. Zudem ist der Ausspruch „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage“ zu einem geflügelten Wort geworden. In „Hamlet“ spricht sie der Titelheld aus und thematisiert damit sein Pendeln zwischen Todessehnsucht einerseits und der Angst vor dem Tod andererseits.
Als letzte Werke Shakespeares gelten „Ein Wintermärchen“, „Der Sturm“ sowie „Heinrich VIII“.

Zwischen Mythos und Anklage: Stratfordianer und Antistratfordianer

Im Jahr 1875 veröffentlichte die US-amerikanische Schriftstellerin und Lehrerin Delia Bacon ein Buch namens „The Philosophy of the Plays of Shakespeare Unfolded“, in dem sie die Theorie vorstellte, dass Shakespeare ein Pseudonym sei, hinter dem sich eigentlich drei andere Autoren verbergen: der für seine empiristische Philosophie bekanntgewordene Francis Bacon, der Seefahrer, Politiker und Dichter Sir Walter Raleigh sowie Edmund Spenser, der dem „realen“ Shakespeare als Vorbild gedient haben soll.
Damit löste Bacon eine Debatte aus, die bis heute anhält und die Shakespeare-Forscher in zwei Lager teilt: die Stratfordianer und die Antistratfordianer. Während Erstere William Shakespeare als Urheber der ihm zugeschriebenen Werke ansehen und jegliche anderslautende Theorien als unwissenschaftlich abtun, üben die Antistratfordianer Kritik an dieser Sichtweise. Die Theorien, weshalb Shakespeares Autorenschaft angezweifelt wird, sind jedoch unterschiedlich. So ist es einigen Autoren zufolge zweifelhaft, wie jemand mit Shakespeares Bildungsstand – wir erinnern uns, dass er keine Universität besucht hat – zu inhaltlich und sprachlich versierten Werken wie den seinen in der Lage gewesen sein soll. Anderen ist verdächtig, dass er neben seinen schriftstellerischen Tätigkeiten als Unternehmer erfolgreich war. Hier wird spekuliert, er habe mit seinem Namen den tatsächlichen Urheber gedeckt, der das Rampenlicht scheute, vielleicht weil er um seinen Ruf fürchtete. Denkbar wäre ein solches Verhalten etwa für einen Adligen.
In diesem Zusammenhang werden immer wieder neue Namen ins Spiel gebracht, hinter denen sich der „wahre“ Shakespeare verbergen könnte. Neben den bereits genannten Bacon, Raleigh und Spenser, betrifft das vor allem den Adligen Edward de Vere, dessen Biografie Ähnlichkeiten zu Ereignissen in einigen Werken Shakespeares aufweisen soll. Ebenfalls breit diskutiert wird die Urheberschaft Christopher Marlowes, die wahre Verschwörungstheorien mit sich gebracht hat.

Christopher Marlowe: Der wahre Shakespeare?

Christopher Marlowe war ein 1564 geborener englischer Dichter, der beispielsweise „Faust“ oder „Tamburlaine“ verfasst hat. 1593 wurde er, vermutlich in Notwehr nach einem Streit, von Ingram Frizer erstochen. Es gab bei seinem Tod jedoch verschiedene Ungereimtheiten: Beispielsweise wurde sein Leichnam anonym und übereilt beerdigt, sein Tod lange nicht gemeldet und Ingram Frizer überraschend schnell begnadigt. Zudem wurde merkwürdigerweise nicht Ingram, sondern jemand namens „Francis Frizer“ als der Mann angegeben, unter dessen Dolchstoß Marlowe zu Tode kam. Diese Ungereimtheiten haben zu verschiedenen Verschwörungstheorien um den Tod Marlowes geführt. Eine davon besagt, Marlowe sei der wahre Shakespeare: Er habe seinen Tod vorgetäuscht und seither unter verschiedenen Pseudonymen gelebt. Eines davon soll eben William Shakespeare gelautet haben, wobei ein Mann namens William Shakspere diese Person gegen Bezahlung „verkörperte“. Insbesondere in Shakespeares Sonetten werden klare Verbindungen zu Marlowes Stil und Leben gesehen. Andere Theorien gehen dagegen davon aus, dass Shakespeare zwar existiert und seine Werke geschrieben, aber unter dem Pseudonym Christopher Marlowe noch weitere Werke veröffentlicht hat.
Ob es nun aber um de Vere, Bacon oder Marlowe geht: All diese Theorien bieten große Ungereimtheiten, weshalb die Beschäftigung mit ihnen als unwissenschaftlich angesehen wird – wenngleich manche Argumente der Antistratfordianer nicht ganz von der Hand zu weisen sind. Beachtet werden sollte jedoch, dass die Lücken in Shakespeares Biografie nicht unbedingt als Hinweis darauf zu werten sind, dass es sich bei ihm bzw. seinem Namen um eine Kunstfigur oder ein Pseudonym gehandelt haben könnte. Auch die Biografien vieler seiner Zeitgenossen weisen aus heutiger Sicht solche Lücken auf, doch tragen sie bei Shakespeare natürlich ebenso wie die Umstände von Marlowes Tod zur Mythenbildung bei.
Doch sicher bleibt letztlich nur: Wer auch immer Shakespeare war – seine Werke haben diesen Namen unsterblich werden lassen und der Nachwelt ein kleines Mysterium.

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